Das Ich und das Andere

Die Anregung zum Thema dieses Artikels kam von einem Jugendlichen. Er hatte beobachtet, dass im Internet teilweise ziemlich aggressiv über jeweils andere Sprachgruppen geschrieben wird.

Sein Vorschlag war, einen Text zu schreiben, der zur Vereinigung der verschiedenen Sprachräume in Südtirol beiträgt. Hier einige Gedanken dazu.

In diesem Text geht es um Deutsche, Italiener, Ladiner. Und um andere. Und Anderes. Denn erstens gibt es in Südtirol inzwischen viel mehr als diese drei Sprachgruppen und zweitens geht es bei diesem Thema um eine grundsätzliche Frage, und zwar um die Frage: Wie begegnen wir in unserem Leben dem Anderen, dem Fremden?

Der Journalist und Autor Ryszard Kapuściński, der auch schon an der Uni Bozen referierte, meint, die Menschen hatten immer schon drei Möglichkeiten, dem Anderen zu begegnen: Sie konnten einen Krieg beginnen, sich hinter einer Mauer verschanzen oder in einen Dialog eintreten.
Vor dieser Wahl standen bereits vor mehreren Tausend Jahren unsere Vorfahren, als sie auf der Suche nach Nahrung umher zogen und plötzlich auf einen anderen Stamm trafen. Und vor dieser Wahl stehen auch wir heute mit unverminderter Dringlichkeit.

Im Laufe ihrer langen Geschichte haben die Menschen ständig zwischen diesen drei Alternativen geschwankt. Je nach den Umständen der Zeit und der Kultur haben sie abwechselnd entschieden.

Kapuściński ist der Überzeugung, der Krieg sei niemals zu rechtfertigen, denn er ist für alle menschlichen Wesen eine Katastrophe, bei der alle Beteiligten nur verlieren können. Und: „Der Krieg offenbart die Unfähigkeit des Menschen, andere zu verstehen und sich in ihre Lage zu versetzen. Er offenbart ihre Unfähigkeit zu Güte und Vernunft.“
Nicht zuletzt stecke hinter dem Krieg die Auffassung von einer grundsätzlichen Ungleichheit zwischen Menschen.

Dieser Gedanke liegt auch jenen Kulturen, Völkern oder Stämmen zugrunde, die sich abschotten und absondern. Für sie sind nur Mitglieder der eigenen Gemeinschaft echte Wesen, während alle anderen Untermenschen oder gar keine Menschen sind. Das Andere, das Fremde ist verhasst und wird verachtet.

Bleibt der Dialog. Um Dialog zu ermöglichen, bedarf es Nähe und Offenheit und der Vorstellung vom Anderen als einem einzigartigen und unwiederholbaren Wesen. Es gibt den Unterschied zwischen einem Individuum und dem anderen und dieser Unterschied gilt sowohl als nicht austauschbar als auch als unverzichtbar. Es gibt keine höheren oder niedrigeren Kulturen, sondern nur unterschiedliche Kulturen mit unterschiedlichen Arten, den Bedürfnissen und Erwartungen ihrer Angehörigen zu entsprechen.

Was wir bei dem Ganzen außerdem nicht vergessen sollten: der Begriff des Anderen wird üblicherweise vom eigenen Standpunkt aus definiert. Von meinem eigenen Standpunkt aus gesehen ist immer der andere der Andere. Doch vom Standpunkt des anderen aus gesehen, bin ich der Andere. So gesehen sitzen wir also alle im selben Boot. Alle sind wir als Bewohner unseres Planeten für die anderen Andere.

„Keine Kultur kann überleben, wenn sie versucht, exklusiv zu sein“ M. Gandhi